- Literaturnobelpreis 1951: Pär Fabian Lagerkvist
- Literaturnobelpreis 1951: Pär Fabian LagerkvistDer Schwede erhielt den Nobelpreis für die »künstlerische Kraft und tiefe Selbstständigkeit, mit der er in seiner Dichtung die Antwort auf die ewigen Fragen des Menschen sucht.«Pär Fabian Lagerkvist, * Växjö (Schweden) 23. 5. 1891, ✝ Stockholm 11. 7. 1974; Studium der Philologie in Uppsala und Kunstgeschichte in Paris, 1913-30 hauptsächlich in Frankreich und Italien, seit 1940 Mitglied der Schwedischen Akademie.Würdigung der preisgekrönten LeistungPär Lagerkvist war ein begnadeter literarischer Handwerker, der mit einer einfachen Sprache große Themen kunstvoll zu beschreiben vermochte. Besessen vom Schreiben, suchte er die Einsamkeit und richtete all seine Kraft auf sein Werk. Kein Journalist erhielt je ein Interview von ihm, denn das Rampenlicht der Öffentlichkeit war ihm zuwider; und Zeit seines Lebens hielt er lediglich eine einzige öffentliche Ansprache: die Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises.Das Ungewöhnliche an Lagerkvists WerkObwohl Lagerkvist mit Worten meisterlich umzugehen wusste, begeisterte er nur ein kleineres Publikum, denn seine Themen und seine Erzählperspektive waren zu unkonventionell, als dass sie bei einer großen Anzahl von Lesern Anklang gefunden hätten. Zumeist berichtet große Literatur vom Kampf des Guten gegen das Böse. Spannung wird schon allein dadurch erzeugt, dass sich der Leser mit dem Helden identifiziert und somit ein Interesse an dem Ausgang der Geschichte besitzt. Nichts dergleichen hat Lagerkvist in seinen besten Romanen vorzuweisen: Er berichtet über das Leid und das Elend, das die Bösen über ihre Umwelt bringen. Die Geschichten sind durchweg illusionslos und erzählen vom Scheitern des Humanismus. Bei Lagerkvist wird kein Saulus zum Paulus — auch wenn der Wille zur Läuterung existiert: Zu groß ist die Kluft zwischen dem Guten und dem Bösen, als dass es einen Weg zur Überwindung gäbe. Solch eine Botschaft ist nicht nach dem Geschmack einer breiteren Öffentlichkeit.Lagerkvist beschritt seinen frühen Weg als Expressionist. Gleich sein erster Gedichtband »Angst« (1916) war in literarischen Kreisen ein Erfolg und verkörpert den Beginn der modernen Lyrik in Schweden. Es folgten einige Theaterstücke und das autobiografische Buch »Gast bei der Wirklichkeit« (1925).Das Böse über das GuteDie nächste wichtige Phase seines Schaffens ist durch die Abrechnung mit dem Totalitarismus definiert. Schon im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten schrieb Lagerkvist den Roman »Der Henker« (1933); sein wichtigstes Werk dieser Zeit war jedoch »Der Zwerg« (1944).In diesem Roman schildert er, dass selbst das geringste Mitglied der Gesellschaft Elend und Verderben über ein ganzes Volk bringen kann. Lagerkvist wendet hier den Kunstgriff an, den Leser in eine Situation einzuführen, die positiv belegt ist. Die Handlung spielt während der Renaissance an einem italienischen Fürstenhof und hat damit vordergründig ein Thema, dessen sich die Romantiker oft und gern bedienten, um über Edelmänner zu berichten, deren Tun von einem Streben nach dem Guten beseelt ist. Lagerkvists Hauptakteure aber sind niederträchtige Gestalten, die mithilfe von Intrigen Macht erlangen wollen. Um den Leser aber nicht allzu sehr zu befremden, finden sich auch die gewohnten, klischeehaften Figuren wieder: die sich nach Liebe verzehrende Edle und der auf der Suche nach der Wahrheit befindliche Künstler und Wissenschaftler — ein Abbild Leonardo da Vincis.Doch auch bei der Darstellung seiner Protagonisten benutzt Lagerkvist eine ungewöhnliche Perspektive: Bei dem Icherzähler handelt es sich um einen widerwärtigen Hofzwerg, den allein der Krieg und die gnadenlose Vernichtung von Menschenleben zu fesseln vermag, sodass er selbstlose Motive grundsätzlich nicht verstehen kann — infolgedessen hat er für edle Menschen nur Hohn und Spott übrig.Das Vorbild des Zwergs ist sein Fürst, dessen Macht auf machiavellistischen Vorgehensweisen beruht. Als der Fürst den Nachbarstaat in einem Krieg nicht besiegen kann, sieht er die Notwendigkeit, sich mit seinen Feinden zu arrangieren, damit ein geregeltes Nebeneinander Frieden und Wohlstand sichern möge. Der Zwerg hingegen ist nicht willens, den Beschluss des Fürsten zu unterstützen; für ihn bleibt ein Feind ein Feind, den es um jeden Preis zu vernichten gilt. Aus diesem Grund vergiftet er auf einem Versöhnungsfest die Speisen und Getränke der feindlichen Führer. Da sich im Nachbarstaat rasch eine neue Führung bildet, die auf unerbittliche Rache sinnt, entsteht ein neuer Krieg. Im Fürstentum wüten aufgrund einer Belagerung Pest und Tod. Zwar gelingt es, den Belage-rern standzuhalten, doch am Ende bleibt das Fürstentum entkräftet zurück; alte Pracht und Stärke sind verschwunden.Die Lehre des HerrnLagerkvists Spätwerk besteht im Wesentlichen aus religiösen Themen. In »Die Sibylle« (1956), »Der Tod Ahasvers« (1960), »Pilger auf dem Meer« (1962), »Das heilige Land« (1964) und »Mariamne« (1967) beschreibt er von Zweifel geplagte Suchende, die ihr Ziel nicht finden. Aus dieser Schaffensphase ragt »Barabbas« (1950) heraus. Auch in diesem Roman wählt Lagerkvist eine außergewöhnliche Perspektive: Er erzählt über die Geburtsstunde des christlichen Abendlands aus dem Blickwinkel desjenigen, dessen Errettung den Tod des Heilands bedeutete.Eine Weile nach der Kreuzigung irrt Barabbas — ahnend, dass hinter Jesus eine große Idee steht — durch die Gassen Jerusalems, um das Rätsel des geheimnisvollen Manns zu ergründen. Jedoch gibt es für ihn keinen Zugang zum Christentum: Seine Fantasie und seine intellektuellen Mittel sind zu beschränkt, als dass er einen Weg aus seinem ruchlosen Leben fände. Ebenso wie in »Der Zwerg« gilt auch in diesem Roman für den Hauptakteur: In einer unbarmherzigen Welt stellt Gewalt ein selbstverständliches Mittel dar, um ans Ziel zu gelangen. Im Lauf seines Lebens verliert Barabbas seine Freiheit und endet als Sklave in Rom. Nachdem Nero die Stadt angesteckt hat, verbreitet sich schnell das Gerücht, dass die Christen für diese Tat verantwortlich seien und die Macht an sich reißen wollten. Nun wähnt sich Barabbas in der glücklichen Lage, seine Schuld zu begleichen und vor allen Dingen: endlich ein Christ zu werden, indem er auch Häuser anzündet. Doch schon bald wird er gefasst und in den Kerker geworfen. Als er dort Christen antrifft, ist er überrascht zu hören, dass sie nichts mit der Feuersbrunst zu tun haben, sondern allein Nero der Brandstifter war. Die Christen wenden sich entsetzt von Barabbas ab, nachdem sie erfahren, dass er sich im Namen Jesu schuldig gemacht hat. Besonders erschüttert sie, dass Barabbas glauben konnte, die Christen würden die Lehre des Herrn mit Gewalt durchsetzen wollen.Mit der Dauer seines Schreibens entfernte sich Lagerkvist zunehmend von den drängenden Publikumsfragen seiner Zeit, um sich in seinem Spätwerk philosophisch-religiösen Themen zu widmen, mit denen sich die anderen Schriftstellerseiner Epoche nicht beschäftigten. Auch dies war ein Grund dafür, dass sein Werk nie wirklich populär wurde.G. Weinreich
Universal-Lexikon. 2012.